Zu den Disziplinen, die sich traditionell mit Migration beschäftigen, gehören Geografie, Soziologie, Anthropologie, statistische und demografische Wissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und so weiter. Die meisten dieser Wissenschaften gehen aggregatorisch und statistisch vor. Daher gibt es wichtige Veröffentlichungen, die sich mit sozialen, demografischen, kulturellen und wirtschaftlichen Fragen im Zusammenhang mit Migration befassen, und zwar sowohl auf lokaler, regionaler als auch globaler Ebene. Diese Studien befassen sich vor allem mit den Push- und Pull-Faktoren, kurz gesagt mit den Gründen, die Menschen dazu bringen, ihren Geburtsort oder ihr Land zu verlassen und sich anderswo niederzulassen, sowie mit den Gründen, die zur Wahl eines bestimmten Landes führen. Die Forschungsrichtungen, die auf der Methodik und den Paradigmen basieren, die die Sozialwissenschaften begründen, und gleichzeitig wertvolle Erkenntnisse für das Verständnis von Migration liefern, zeigen zunehmend ihre Grenzen auf. Sie sind nämlich nicht immer in der Lage, eine Reihe von Phänomenen oder Ereignissen im Zusammenhang mit der Migration verständlich zu machen, wie z. B. die Ernte in den Vorstädten in Frankreich oder das Engagement von Migranten oder ihren Nachkommen, die als Vorbilder für soziale Integration dargestellt werden, bei terroristischen Aktionen in England, Frankreich oder Holland.
Da es schwierig war, überzeugende Antworten auf bestimmte aktuelle Fragen zu finden, mussten neue Analyseinstrumente eingesetzt und neue Fragestellungen aufgegriffen werden, die bis dahin nur von den Geistes- und Literaturwissenschaften bearbeitet worden waren. Die folgenden Fragen haben sich in der Migrationsforschung zunehmend durchgesetzt. Was bedeutet es, ein Migrant zu sein? Welche Auswirkungen hat es auf das Selbstwertgefühl eines Individuums, auf die Wahrnehmung durch andere und auf seine Persönlichkeit, wenn man nur ein Teil oder ein Fremdkörper in einer Gemeinschaft oder einer Nation ist? Was bedeutet es, als Teil einer abwesenden Einheit wahrgenommen und behandelt zu werden, mit der man sich nolens volens identifizieren muss, ohne die wohltuende Wärme ihrer Nähe genießen zu können und ohne die Gewissheit zu haben, dass sie einen als einen der ihren ansieht und behandelt? Wie ist das Verhältnis zu einem Raum, in dem man lebt und gleichzeitig ausgeschlossen ist? Wie funktionieren Phänomene wie Nostalgie, Loyalität, Exil und fehlende Wurzeln? Welche Möglichkeiten bieten die neuen Informationstechnologien und die Satellitenausstrahlung von Lokalsendern in Bezug auf Nähe, Identifikation, Identifikationsbrüche und die Bildung neuer Identitäten? In welcher kognitiven Kohärenz oder Dissonanz lebt man in einem diasporischen Kontext? Wie wirkt sich die Migration auf die Kultur des Empfängerlandes und die des Herkunftslandes aus? Kurz gesagt, welche psychosozialen, intellektuellen, kulturellen und existenziellen Folgen hat die Migration sowohl für den Migranten als Individuum als auch für die Gemeinschaften, die er mit aufbaut oder die für ihn eine Instanz des Appells oder des Verbots darstellen? Die Antworten auf diese Fragen stehen oft im Mittelpunkt der künstlerischen, literarischen oder intellektuellen Kreativität von Migranten. Durch die Erforschung dieser Orte der Simulation, der Inszenierung und des Abgrunds, an denen sich das Bewusste und das Unbewusste überschneiden, an denen Leben erzählt, kommentiert und hinterfragt werden, ist es möglich, die Verletzungen, Spannungen, Risse, Ängste, Hoffnungen, Dissonanzen und Semiosen, die die Migration hervorbringt, einzufangen. Dies ist die Leitlinie des vorliegenden Buches.
zwischen der medizinischen Fakultät und dem Centre National de Développement du Numérique Universitaire (Nationales Zentrum für die Entwicklung des Universitätsdigitalwesens)